Die weniger sonnigen Seiten der Biologie

Prof. Eula wendet sich nach dem Lab-Meeting an mich. „Morgen taue ich die Hirne auf und färbe sie ein. Danach weise ich dich in das Fluoreszenzmikroskop ein und nächste Woche kannst du dann mikroskopieren.“
Was wie aus einem schlechten Labor-Zombiefilm klingt ist bei uns mehr oder weniger Alltag. Alltag in einem Tierversuchslabor. Doch halt, bevor du nun erschreckt und angeekelt meinen Blog bannst, lies mal weiter. Denn es gibt leider viel zu viele Vorurteile zum Thema Tiere in der Forschung und ich bin definitiv kein herzloser Tierquäler, kein verrückter Wissenschaftler, wie die Anti-Tierversuchs-Leute uns gerne darstellen.

Ich möchte und kann nicht genau ins Detail gehen, was wir erforschen oder was meine Aufgabenstellung in meiner AG ist – diese Details sind so einzigartig, dass man mich und meine AG mit etwas Nachforschung finden und identifizieren kann. Und da unsere Uni bereits mit übermotivierten TierethikerInnen zu tun hatte, möchte ich meinen Prof nicht der Gefahr aussetzen, wieder mit Beleidigungen, Morddrohungen und Sachbeschädigung konfrontiert zu werden (nein, Affen sind es nicht…) Ich möchte Verstehen erzeugen und Menschen nicht in diese radikale Gruppierung abrutschen lassen. Für jene, die bereits darin organisiert sind kommt meiner Meinung nach eh jede Hilfe zu spät. Als unbelehrbar, ignorant und aggressiv habe ich sie erlebt. Keiner Sekunde des Zuhörens oder des vernünftigen Disputs waren sie fähig – Feindbilder aufzustellen und zu jagen ist da nämlich viel einfacher und bringt deutlich mehr Sympathien ein. Aber ich schweife ab.

Ok, ich arbeite in der Sinnesphysiologie. Soweit kann ich mitteilen. Wir machen Grundlagenforschung zu einem Krankheitsbild, das nicht selten ist, aber wenig Aufmerksamkeit genießt. Und vielen ist der Zusammenhang zwischen Grundlagenforschung und medizinischer Therapieentwicklung nicht klar; während viele Tierrechtler noch ihr Okay zu notwendigen Testversuchen von neuen Therapien und Medikamenten geben, sprechen sie der biologischen Grundlagenforschung jedes Recht auf Tierversuche ab. Was absolut unlogisch und, Verzeihung, dämlich ist. Ohne Grundlagenforschung keine neuen Therapien. Und manchmal scheint das Experiment weit von der Therapieentwicklung entfernt zu sein, manchmal auch in eine völlig andere Richtung zu gehen. Aber auch hier: Es ist einfach notwendig, in jede, wirklich jede Richtung zu blicken. Penicilin ist das Produkt von reinem Zufall und Schlamperei – heute gilt es als eine der wichtigsten Entdeckungen des 20. Jhd, wenn nicht der modernen Menschheit, gleichauf mit der Entdeckung des Feuers.

Meine Experimente und mein letztes Projekt ging einzig und allein darum, wie ich „unsere“ Sinnesmodalität mit optogenetischem Einfluss manipulieren kann. Sprich, wir haben Mäuse mit einem optogenetischen Implantat am Kopf ausgestattet, durch das ich Laserlicht schicke und hoffe, einen Sinnesreiz auszulösen. Im Vorfeld wurden die Tiere auf einen Sinnesreiz trainiert; nehmen wir mal an, ich arbeite am visuellen System: Immer, wenn Licht kommt, soll die Maus von ihrer Plattform springen. Tut sie das, bekommt sie eine Belohnung. In meinem Experiment versuchte ich, die Zellen des „visuellen“ Systems im Hirn mit Laserlicht zu manipulieren, um den Zellen vorzugaukeln, jupp, da war Licht. Klingt nicht danach, dass es irgendeinen Bezug zu blinden Menschen hätte, oder?
Nun, um Gentherapien zu entwickeln, die angeborene Sehstörungen ausgleichen, müssen wir erst den Signalweg vestehen – das ist noch lange kein gelöstes Rätsel, egal in welcher Sinnesmodalität. Durch meine Versuche ist immerhin rausgekommen, dass diese Art der Manipulation nicht im Cortex stattfinden kann – sondern dass anscheinend wichtige Verarbeitungsprozesse noch ganz woanders ablaufen. (Im visuellen System macht diese Aussage keinen Sinn, daher wird der Laienforscher sicher schon festgestellt haben, dass das nicht mein Gebiet ist.)
Für die optogenetische Manipulation ist das Einbringen eines bestimmten Genabschnittes aus Algengenen notwendig, damit die Nervenzellen auf Licht reagieren. Wir verändern sie sehr lokal, was ein großer Vorteil ist zu bisherigen Manipulationsversuchen im Hirn durch eletrische Stimulation.
Andere in meiner AG arbeiten mit Tiere mit implantierten Elektroden, die einfach aufzeichnen, wie einzelne, ganz bestimmte Neurone reagieren, wenn der Sinn auf bestimmte Arten und Weisen gereizt wird. Z.B.: Im Setting ist es Dunkel, mal wird helles Licht gegeben, mal schwaches, mal in kurzen Pulsen, mal längere Zeit. Das Coding der Neurone ist hochkomplex und unmöglich in voller Komplexität zu simulieren; Computermodelle scheiden hier völlig aus. Es gibt welche, der einfache und spezielle. Aber wenn man bedenkt, dass schon Hormonstatus der Maus die Ergebnisse krass beeinflussen können, dass kann man sich die Nützlichkeit der Modelle bei neuen Experimenten vorstellen.

Jetzt die Frage aller Fragen, die mir immer mal wieder gestellt wird von Freunden und Verwandten:

„Fühlst du dich als Tierquäler?“

Antwort: Nein. Ich habe schon länger darüber nachgedacht. Natürlich: Wir anästhesieren die Mäuse, wir setzen Implantate ein, wir schicken sie durch Settings und schließen die Implantate an Kabel an. Wir deprivieren sie (setzen sie auf Futterentzug) und müssen sie daher einzeln halten und wenn die Experimente erledigt sind und mit den Mäusen keine neuen gemacht werden können (meistens, weil sie zu alt werden), dann werden sie eingeschläfert und seziert, das Hirn wird haltbar gemacht, geschniten, gefärbt und mikroskopiert, damit wir auch sehen, ob das eingebrachte Genmatierial überhaupt exprimiert wurde, ob es Zellwachstum oder -reduktion gab. Das ist sozusagen die gründliche Aufräumarbeit. Die Vorgänge sind systematisch, protokolliert und angehalten, so wenig Stress und Tierleid wie möglich zu verursachen, später sollen sie publiziert werden, damit alle was von den Ergebnissen haben. So sollen unnötige doppelexperimente vermieden werden (z.B. ein Experiment, das so gar nicht klappt, muss nicht 10 Mal wiederholt werden. Da reichen einige wenige, mit veränderten Parametern vielleicht oder auch gar keines, wenn klar ist, dass das zu keinem positivem Ergebnis führt.)

In Wahrheit macht sich kaum jemand mehr Sorgen um seine Haustiere als wir um unsere Versuchstiere. Vielleicht vorweg: So eine Maus im Experiment ist schweineteuer. Der Antrag, die Versorgung, die OP, das Implantat, die Stunden an Arbeit mit ihren Ergebnissen. Glaubt wirklich jemand, dass eine gequälte, unterversorgte Maus auch nur einen brauchbaren Datensatz liefert? Selbst wenn am anästhesierten Tier passive Ableitungen gemacht werden, hat ihr Wohlbefinden einen erheblichen Einfluss auf die Datenqualität. Aber mal von den nüchternen Fakten abgesehen arbeiten ganz schön viele … Mimosen in der tiergestützten Forschung. Mitarbeiter, die einen Heulkrampf kriegen, weil die Maus mal gepiept hat beim Hochnehmen, Studenten, deren Hand schon zittert vor Angst, der Maus etwas anzutun, wenn der Käfigdeckel nur aufgeht. Klar, die werden da nicht lange arbeiten. Aber das hat nichts mit der angeblichen Tierquälerei zu tun, sondern mit der Angst, als Tierquäler zu gelten.

„Tut es dir nicht Leid, wenn die Tiere am Ende getötet werden?“

Ja, natürlich. Aber ich bin Biologe genug, um auf Leben uns Sterben einen eher nüchternen Blick zu haben. Wir müssen alle sterben. Die Mäuse bei uns überschreiten meist die Lebenserwartung ihrer wilden Verwandten und ich glaube, es gibt keinen angenehmeren Tod als langsam einzuschlafen und dann zu sterben. Besser jedenfalls, als von einer Katze erwischt oder bei lebendigem Leib von einem Bussard verschluckt zu werden. Nein, der „massenhafte“ Tod unserer Tiere belastet mich nicht. Ich mache es nicht gerne und manche Mäuse habe ich lieb gewonnen, weil sie besonders zahm waren oder einfach super mitgearbeitet haben. Mich traumatisieren ganz andere Dinge – der Blick in einen Stall der industriellen Fleischproduktion zum Beispiel.

Auch was die Selbstwahrnehmung und das „Bewusstsien“ von Tieren angeht bin ich (inzwischen) wenig romantisch veranlagt. Es gibt durchaus Arten, die sich ihrer selbst bewusst sind, die durch belastende Erlebnisse traumatisiert werden oder die ein Gefühl des „Eingesperrtseins“ empfinden können. Mäuse gehören nicht dazu. Sie betrauertn sich nicht selbst nach der OP – wir wissen nicht mal, ob sie Schmerzen haben. Wir geben ihnen pro forma und just in case Schmerzmittel. Wir wollen nicht, dass sie doch leiden oder Schmerzen empfinden und wir es nur nicht sehen können. Aber nach ein paar Tagen laufen sie putzmunter wie eh und je durch ihre Käfige. Dass sie überall mit ihrem Implantat hängen bleiben, stört sie nicht wirklich. Sie probieren sich solange aus, bis sie da durch kommen, wo sie hinwollen. Sollte es doch mal sein, das sich ein Tier am Implantat verletzt (was wir mit entprechender Käfigarchitektur versuchen zu vermeiden), dann bleibt nicht als der sofort herbeifegührte Tod durch Genickbruch. Dafür musste ich, und müssen alle Tierversuchsleiter, einen speziellen Kurs belegen, wo der fachgerechte Umgang beigebracht wird. Um eben unnötiges Leid zu vermeiden. Ist zum Glück in unserer AG noch nicht vorgekommen. Auch mit angeschlossenem Kabel laufen sie herum, entdecken und sind neugierig. Ich würde zu gerne mal ein Video aus unserer AG posten, dass zeigt, dass sie sich normal verhalten. Natürlich ist mir bewusst, dass wir „wider der Natur“ handeln und dass es sicher kein natürliches Verhalten ist. Aber es ist weit entfernt von Qual.

Es gibt nicht viel, was uns von biomechanischen Robotern unterscheidet. Im Falle des Menschen ist es die Selbstwahrnehmung und das bewusste Nachdenken über sich selbst. Bei Insekten kann man es ganz gut nachweisen: Es gibt bestimmte Verhaltensabläufe, die bei einem bestimmten Ereignis anfangen und einen bestimmten Endpunkt haben. Manche Endpunkte kann man experimentell ausschalten und das Insekt macht dieses Verhalten bis zum Ende seines Lebens. Wie ein Roboter in einer Endlosschleife. Säugetiere sind natürlich komplexer. Letztlich finde ich es aber weit übertrieben zu denken, Mäuse oder ein anderes („niederes“) Tier seien Menschen in anderer Gestalt und müssten daher ähnlich behandelt werden. Natürlich sollte man Tiere gut behandeln; das ist aber weniger die Frage, ob sie es verdient haben als die Frage, wie man selbst mit Schwächeren umgeht.

„Gibt es denn nicht andere Methoden, Grundlagenforschung zu betreiben?“

Klar, kommt auf die Art der Forschung an. In vielen Fällen ist es besser, günstiger und schneller, nur auf Zellebene zu experimentieren. Aber leider ist für viele Bereiche der ganze Organismus entscheidend, vor allem wenn es um so komplexe Systeme wie Sinne geht. Ob ich das, was ich den Tieren „antue“ auch Menschen antun würde? Auf jeden! (Wenn es entsprechende Kenntnisse der menschlichen Hirnphysiologie bezogen auf unsere Bedürfnisse gäbe…) Es würde die Ergebnisse sofort liefern, die Forschungszeit verkürzen und Therapieentwicklung voran bringen. Ich wäre sogar stark dafür, verurteilte aus dem Todestrakt in Amerika zu holen und sie als Versuchskaninchen in mein Labor zu bringen. Dann wäre es so: Implantat einsetzen, Licht durchjagen. Frage: „Hast du was gemerkt?“ Antwort: „…“.
Kein lästiges Überprüfen mit Kontrollgruppen und -experimenten, kein langes Trainieren und keine Unsicherheit, ob es wirklich an der Manipulation lag oder an was ganz anderem. Da bin ich dann ganz Menschenfeind. Gut, man könnte Straftätern ja die Wahl lassen, etwas gutes für die Allgemeinheit tun (Forschung) oder sterben/lebenslang absitzen.
Aber leider ist das verboten.
Ob ich mich operieren lassen würde und die Manipulation an mir versuchen? Hm. Vielleicht in ein paar Jahren, wenn die OP-Technik ausgereifter sind. Im Hirn herumzupfuschen ist nicht mal eben so. Und bei uns kann doch eine Menge mehr schief gehen als bei Mäusen.

Zusammenfassend: Tiere sind Tiere. Mit wenigen Ausnahmen empfinden sie nicht einmal einen Bruchteil dessen, was wir fühlen, denken nicht über ihre Situation nach. Sie werden in kleinen Käfigen geboren; das ist ihre Welt. Sie bekommen von uns Abwechslung, auch das ist ihre Welt. Den Tod spüren sie nicht, höchstens die Spritze vor der Anästhesie vor der Todesspritze. Wenn es ihnen nicht gut geht, sorgen wir dafür oder beenden ihr Leid, denn eine kranke, verletzte oder depressive Maus ist keine gute Maus.
Ich erwarte nicht, dass meine Leser jetzt totales Verständnis aufbringen oder schreien, wow, das ist interessant, das will ich jetzt auch machen! Aber vielleicht konnte ich dem einen oder anderen die Methoden in der tiergestützen Forschung etwas beleuchten und dass wir unser bestes tun, Qualen und Leid eben zu verhindern und trotzdem an unsere Daten zu kommen.
Manchmal geht es leider nicht ohne. Aber auch die Mitarbeiter sind auch keine schlechten Menschen (z.B. Toxikologienachweise, Immunforschung, Krankheitsforschung etc…)

Meine Bitte: Nutzt doch eure emotionale Energie und werdet Vegetarier, tut was gegen Massentierhaltung und schlechte Haustierhaltung – denn viele Tiere in Privatbesitz leiden am schlimmsten (lest mal das Tirschutzgesetz – darin sind Bestimmungen, wie Haustiere zu halten sind und ihr wäret überrascht, wie viele Menschen nach dem Tierschutzgesetz angezeigt werden müssten). Geht ins Tierheim oder nach Rumänien oder wehrt euch gegen die Nutzung von Wildtieren in Zirkussen.

Aber bitte hört auf, Leuten, die in der Forschung arbeiten, das Leben schwer zu machen. Seid doch froh, dass ihr persönlich auf die Forschung nicht angewiesen seid und hofft, dass ihr es nie sein werdet. Oder eure Kinder. Und wenn doch, dann werden eure Rufe nach Medikamenten und Therapien sehr laut und dann wird es vermutlich egal sein, wieviele Tiere dafür sterben mussten. Sollen die Ärzte und Forscher dann sagen: Nee, also das war mal ein Tierversuchsgegner, wir verweigern ihm/ihr den Zugang zum lebensrettenden Medikament.
Ich kann euch aus erster Hand bestätigen: Es gibt keine verrückten, irren Wissenschaftler mit tierquälerischer Neigung. Solche Leute will keiner in seiner AG haben und würden sofort ihren Job verlieren. Zudem: Wir werden ständig kontrolliert, wehe, das Tier wiegt weniger als 85% seines Ausgangsgewichtes oder macht einen kranken Eindruck. Da gibt es keine „schwarzen Schafe“, und wenn, dann nicht lange. Auch Privatlabore unterliegen Regelungen und Kontrollen. Wir sind klar denkende, intelligente Menschen – wir wollen nicht auch noch dämliche Vorurteile durch schlampige Arbeit oder fahrlässige Kontrollen bestätigen.

Die Frage ist nur: Kannst du logisch denken? Oder lässt du dich von deinen Heile-Welt-Kinder-Gefühlen leiten und nennst alle Tiere dieser Welt als deine besten Freunde? Du musst ja kein Befürworter oder Liebhaber der Tierversuche werden, so wie ich kein Liebhaber von Fußball bin und werde. Aber ein bisschen differenziertes Denken, ein etwas reflektierteres Urteil, etwas Akzeptanz wären super. Ich werfe ja auch keine Scheiben von Fußballspielern oder notorischen Fleischessern ein.

 

PS: Ich bin im übrigen offen für sachliche Diskussionen. Dumme Beleidigungen, plumpe Widersprüche und Anfeindungen werden nicht veröffentlicht. Gegenbeweise zu Selbstempfindung von Mäusen in Form von wissenschaftlichen Publikationen nehme ich hingegen gerne an – denn vielleicht täuschen wir uns ja tatsächlich, vielleicht sind unsere Labortiere intelligenter und emotional weiter als alle bisherigen Experimente es gezeigt haben und sollte durch welche Möglichkeit auch immer eine Labormaus mit mir kommunizieren und mir mitteilen, wie ungemein unfair sie ihre Situation und die ihres Volkes findet, wäre ich die erste, die politisch gegen Tierversuche eintritt. Aber bis dahin mache ich meine Arbeit weiter.

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